Im Pädagogikleistungskurs ist es üblich, eine Theorie nach der anderen durchzunehmen, von Fallbeispielen wird meistens nur gelesen. Im Rahmen der Identitätsentwicklung und Gewaltentstehung bei Jugendlichen wollten die Schüler des Pädagogik-LKs von Frau Ritter eine Auszeit von der vielen Theorie nehmen und besuchten im April den Ort, an dem Gewalt ein großes Problem ist: Die Justizvollzugsanstalt Wuppertal – Ronsdorf.
Die Justizvollzugsanstalt in Wuppertal – Ronsdorf hat Platz für insgesamt 510 Jugendliche und Heranwachsende. An diesem Ort wird den Jugendlichen versucht zu vermitteln, dass sie ihr Leben künftig in sozialer Verantwortung ohne Straftaten führen sollten. Unter den vielen Beamten, die für die Jugendlichen verantwortlich sind, stehen auch vier katholische Seelsorger zur Hilfe.
Damit der Kurs auf das Gespräch mit den jugendlichen Häftlingen vorbereitet war, besuchte einer dieser katholischen Seelsorgern der Vollzugsanstalt, Herr Berkenbrink, den Unterricht des Pädagogik-LKs. Gemeinsam wurden Fragen über das Leben und den Alltag im Gefängnis, die Vergangenheit und die Zukunftspläne der Jugendlichen überlegt.
Als die Schüler schließlich wenige Tage später vor dem großen Eingang des Gefängnisses standen, war die Anspannung groß. Durch die Sicherheitskontrollen des Gefängnissen geleitet zu werden, mitzubekommen, wie oft Türen aufgeschlossen und wieder zugeschlossen wurden, war für die Schüler schon spannend genug, doch dabei sollte es nicht bleiben. Herr Berkenbrink zeigte den Schülern die Kirche der JVA und erläuterte, wie wichtig der regelmäßige Besuch der Messen für viele Häftlinge sei. Anschließend teilte sich der Kurs in zwei Gruppen, die sich jeweils im Kulturzentrum der Jugendvollzugsanstalt an einen Tisch setzten, um dort auf die inhaftierten Jugendlichen zu warten.
Bis zu diesem Zeitpunkt hatten die Schüler ein klares Bild von den Häftlingen, welches man meistens von Medien eingetrichtert bekommt: Muskeln, Tattoos, kahl rasierte Köpfe. "Nichts davon ist auch in der Realität so.", bemerkten die Schüler, als fünf Häftlinge in Begleitung von Justizvollzugsbeamten den Saal betraten. "Die Jungs hätten genauso gut auf unsere Schule gehen können oder in unserer Nachbarschaft wohnen. Sie unterschieden sich nicht von anderen Jugendlichen in ihrem Alter."
Die Jugendlichen stellten sich untereinander vor und das Eis wurde schon nach wenigen Fragen gebrochen. Die Häftlinge waren offen und freundlich und beantworteten den Schülern jede Frage sehr ausführlich. So gaben sie den Schülern einen Einblick in das Leben im Gefängnis. Den Alltag beschrieben sie mit den Worten "Routine" und "langweilig". Jeden Tag steht dasselbe an: Aufstehen, frühstücken, Arbeit oder die Ausbildung. Nach dem Mittagessen haben die Jugendlichen "Freizeit", dürfen zum Beispiel Sport machen oder mit anderen Häftlingen zusammen Karten spielen, bis sie Abends wieder in ihrer Zelle eingeschlossen werden.
Als die Jugendlichen langsam mit dem Kurs warm wurden, versuchte der Kurs sich auch in persönlicheren Fragen.
"Auf persönlichere Fragen, bezüglich der Familie und der Kindheit zum Beispiel, reagieren viele Häftlinge meist sehr empfindlich. Das sind Fragen, die sie sehr ungern beantworten.", stellte Herr Berkenbrink zu Beginn klar.
Doch mit der Zeit öffneten sich die Häftlinge den Schülern immer mehr, sodass sie den Schülern Eindrücke von ihrer Familie, der Kindheit und alten Freundschaften verschafften.
Schnell realisierten die Schüler, dass die familiäre Situation und der Einfluss von Gleichaltrigen eine große Rolle in der Gewaltentstehung der Häftlinge spielten, so wie sie es im Unterricht auch gelernt haben.
Am Ende des aufregenden Tages verließ der Kurs die JVA mit gespaltenen Gefühlen. "Es ist üblich, dass selbst wenn alle Fragen bis ins Detail beantwortet wurden, die Schüler die JVA mit noch mehr Fragen verlassen.", erklärte Herr Berkenbrink seine Erfahrungen aus anderen Gruppen, die er begleitet hat. Und obwohl es seine Zeit brauchte, bis die Schüler ihre Eindrücke des Tages geordnet hatten, waren sich alle sicher, dass es manchmal nicht ausreicht die Ursachen von außen im Unterricht zu analysieren und es nachvollziehbarer und verständlicher ist, sie direkt von den Betroffenen erzählt zu bekommen.
Valentina Turkovic